Zauberhafte Märchenwelt in der Schule

Märchenwelt

Erzählerin Liselotte Recknagel fasziniert Fünftklässler der EKS / Projekt im Rahmen des Deutschunterrichts

(vdö). Still ist es, ganz still, wenn die Märchenerzählerin in andere Welten entführt. Dann sind auch die quirligen Fünftklässler der Erich Kästner-Schule hingerissen von alten Geschichten um Ritter, kleine Prinzessinnen oder Teufelsversuchungen. Am gestrigen Mittwochmorgen war Liselotte Recknagel ein weiteres Mal an der Gesamtschule, verwandelte den schnöden Klassenraum im Neubau in ein Märchenland. Und zwar bereits wohl zum „100. Mal“, wie die gebürtige Mannheimerin schmunzelnd sagte. Sie war erneut der Einladung von Sigrid Röhrborn gefolgt, die zuständig für die Leseförderung an der Schule ist.

Im Deutschunterricht der fünften Klassen wird laut Rahmenlehrplan stets das Thema Märchen durchgenommen, die typischen Merkmale der Prosatexte werden besprochen – vom Anfang und vom Ende, von magischen Zahlen und von Zaubersprüchen wird geredet, auch vom Gebrauch des Präteritums. Mithilfe der Märchenerzählerin aber entsteht etwas ganz Besonderes, weitab von der Theorie. Wenn Liselotte Recknagel den Raum verdunkelt, Kerzen entzündet und mit ruhiger Stimme spricht, nimmt sie geschickt alle Jugendlichen mit, beobachtet jeden ganz genau. Sie weiß, wie Unruhe entsteht und wie sie mit ihrer Erzählung dagegen angehen kann.

„Erzählen hat eine ganz andere Qualität als Lesen oder Vorlesen, ich bin immer in Augenkontakt mit den Kindern“, sagt sie, während ihr ein metallener Schüssel um den Hals baumelt. Offensichtlich kann sie die Herzen ihrer jungen Zuhörer entschlüsseln, kaum einer der stört, kaum einer, der nicht auf ihre Fragen antwortet.

Am gestrigen Morgen erzählte sie die Geschichte von der Bienenkönigin und vom Winter- und Sommergarten, die Fünftklässler hörten vom goldenen Schlüssel und vom Teufel mit den drei goldenen Haaren. Liselotte Recknagel kennt die Geschichten alle auswendig, denn nur dann entsteht der richtige Redefluss: „Die Gebrüder Grimm haben eine schöne Sprache verwendet, haben kurze und knappe Sätze aufgeschrieben und diese fließenden Sätze mit ihrer Melodie gebe ich weiter.“

Sie lernt noch immer Märchen auswendig, ist ständig auf der Suche nach neuen Texten. Gerade bereitet sie sich auf einen Abend für Erwachsene vor, dafür paukt sie „Frau Trude“ und „Der Jungbrunnen“, von dem sie im Westdeutschen Rundfunk gehört hat. „Ich bin oft auch bei Märchentagungen und -seminaren, um neue Ideen aufzufangen“, erklärte Recknagel, deren Tochter früher an der EKS unterrichtete. Sie selbst lebt derzeit in Bochum, kam mit dem Auto ins Rhein-Neckar-Gebiet. Als mehrfache Oma ist ein solcher Märchentag an der EKS zwar anstrengend für sie – „ich bin jetzt erschöpft, weil das Erzählen eine hohe Konzentration erfordert“ – aber sie weiß auch, wie wichtig eine solche Veranstaltung für die Annäherung an Literatur und Erzählweisen ist: „Die Kinder waren heute sehr aufmerksam, und das Schönste ist doch, wenn ein Junge zu mir sagt, dass er gar nicht wusste, dass Märchen so toll sein können!“